Erinnerung und Gedächtnis: Was passiert in unserem Kopf?
Zwei Freundinnen flanieren über den Stadtplatz …
"Sieh mal, die Frau die da vorne in unsere Richtung läuft, das ist doch Petra! Die war mit uns in der Schule, in der Parallelklasse. Die hat sich überhaupt nicht verändert!“
„Was? Das ist doch nicht DIE Petra, das Turnass der Schule. Die war doch viel kleiner und hatte ein Sommersprossen-Gesicht.“
„Echt? Nein, an Sommersprossen kann ich mich nicht erinnern.“
„Ich suche heute noch das Abschlussfoto, dann werden wir ja sehen, wer von uns beiden recht hat.“
Kennen Sie solche Unterhaltungen? Sie sind sich absolut sicher, erinnern sich ganz genau – und Ihr Gesprächspartner auch. Doch die Erinnerungen widersprechen sich.
Wie kann es ein, dass wir uns manchmal so sicher sind, was wir gesehen oder erlebt haben und dann feststellen müssen: Wir haben uns getäuscht? Wie funktioniert unser Gedächtnis, wann irrt es sich und: Können wir selbst erkennen, wenn wir uns „falsch“ erinnern?
Das sind spannende Fragen, denen wir im folgenden Beitrag auf den Grund gehen.
Arbeitsweiße von Gedächtnis und Erinnerung. | Quelle: © Andrey Kuzmin - Adobe Stock
Unsere Beiträge sind sehr ausführlich. Bitte nutzen Sie daher zur besseren Navigation das Inhaltsverzeichnis. Sollten Sie ergänzende Anregungen oder eigene Erfahrungen zum Thema besitzen? Freuen wir uns natürlich sehr über ein entsprechendes Kommentar am Ende des Beitrages.
Wir wünschen eine inspirierende Lektüre!
Dem Gedächtnis auf der Spur
Das Gehirn gilt als das komplexeste Organ im menschlichen Körper und seine Funktion daher nicht ganz einfach zu verstehen. Was inzwischen klar ist:
Das Hirn besteht aus verschiedenen Regionen und Zentren, die hauptsächlich für einzelne Funktionen verantwortlich sind.
Dazu zählen zum Beispiel das Sprachzentrum, das motorische Zentrum (Bewegung) und der Hippocampus (Gefühle und Gedächtnis). Wenn ein solches Zentrum beschädigt wird oder ganz fehlt, etwa durch einen Schlaganfall oder eine Operation, hat das schwerwiegende Konsequenzen. So verlor in den 1950er Jahren ein Patient, dem der Hippocampus entfernt wurde, um seine Epilepsie zu heilen, die Fähigkeit, sich neue Dinge zu merken. Er konnte sich an Erlebnisse vor der Operation erinnern, jedoch nicht daran, dass er vor fünf Minuten einen Kaffee getrunken hatte.
Die Nervenzellen im Gehirn, etwa 100 Milliarden, sind für die Speicherung von neuen Informationen (=Lernen) und für das Abrufen von vorhandenem Wissen zuständig (=Erinnern).
Jede Erinnerung besteht aus verschiedenen Informationen.
Den Restaurantbesuch legt das Gehirn nun nicht gesammelt an einem Ort ab, sondern es baut ein Netzwerk: die visuellen Eindrücke speichert es im Sehzentrum, die Gespräche im Sprachzentrum, und so weiter. Wenn Sie sich bewusst an den Abend erinnern, werden alle Hirnareale aktiv, in denen eine Information dieses Erlebnisses abgespeichert wurde.
Falls Sie noch mehr über dieses Thema wissen möchten, finden Sie am Ende des Beitrags weiterführende Quellen.
Die verschiedenen Arten von Gedächtnis
Bisher haben wir Beispiele gewählt, die den meisten Menschen einfallen, wenn sie das Wort Gedächtnis oder Erinnerung hören.
Doch die Erinnerung an ein Abendessen oder die ehemalige Schulkameradin ist nur eine Gedächtnisvariante, nämlich das episodische oder biografische Gedächtnis.
Tatsächlich gibt es noch weitere:
- semantisches Gedächtnis: Faktenwissen, z. B. Paris ist die Hauptstadt von Frankreich
- Priming: Sie hören die ersten Zeilen eines bekannten Gedichts und können es vollständig aufsagen.
- Prozedurales Gedächtnis: Autofahren, Tennisspielen, … Sie denken nicht darüber nach.
- Assoziatives Gedächtnis: erlernte Angst, Sie haben Angst vorm Zahnarzt und zucken zusammen, sobald Sie ein Geräusch im Alltag an das Bohren in der Praxis erinnert.
- Nicht-assoziatives Gedächtnis: Sie gewöhnen sich an Reize, etwa den der Brille auf der Nase oder den Lärm der Dauerbaustelle auf der anderen Straßenseite.
Das episodische und das semantische Gedächtnis besteht aus bewussten Inhalten. Wir wissen, dass wir die Hauptstadt Frankreichs nennen können. Wir wissen, dass wir uns an das erste Date oder die Geburt des ersten Kindes erinnern.
Genauso verfügen wir über unbewusste Gedächtnisinhalte – die übrigen Punkte der Aufzählung. Das Erinnern, also Abrufen, dieser Inhalte passiert automatisch. Sie denken nicht bewusst darüber nach, wenn Sie hinterm Steuer sitzen, sie fahren einfach.
So entsteht Erinnerung: vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis
Wir wissen jetzt, welche Formen von Gedächtnis existieren. Jetzt geht es darum, wie zum Beispiel eine neue englische Vokabel im semantischen Gedächtnis landet.
Sobald wir eine neue Vokabel zum ersten Mal lesen, landet sie im Kurzzeitgedächtnis, das auch Arbeitsgedächtnis genannt wird. Das Kurzzeitgedächtnis hat nur eine begrenzte Kapazität – Forscher gehen von 7 bis 9 Einheiten aus.
Test: Die Kapazität Ihres Kurzzeitgedächtnisses
Versuchen Sie sich eine Zahlenreihe mit drei Ziffern zu merken. Sagen wir: 4-7-9. Kein Problem, oder? Jetzt erhöhen wir auf fünf Ziffern: 2-3-1-5-4. Geht das noch leicht? Bei sieben wird es für viele Menschen schon herausfordernd: 8-5-4-7-0-3-1. Na, haben Sie es noch geschafft? Dann liegen Sie im oberen Mittelfeld. Bei neun Ziffern setzt die Erinnerung zum Ende der Reihe oft aus: 6-9-8-8-0-3-5-4-6. Wie ist es Ihnen ergangen?
Nun aber zurück zu den Vokabeln: Je aufmerksamer wir die neue Vokabel wahrnehmen, umso länger bleibt sie im Kurzzeitgedächtnis abrufbar. Wir können uns also an das neue Wort erinnern. Werden wir beim Lernen durch eine Telefonanruf gestört, können wir uns an das Wort nach dem Anruf nicht mehr erinnern. Der neue Input am Telefon hat die Vokabel verdrängt.
Motivation spielt beim Verarbeiten von Informationen eine große Rolle. Je motivierter Sie Ihr Englisch verbessern wollen, umso schneller werden Sie Erfolge erzielen. Denn Motivation steigert Konzentration und Aufmerksamkeit. Außerdem hilft sie, neu Gelerntes zu wiederholen. Das neue Wort landet nur durch mehrmaliges Wiederholen im Langzeitgedächtnis.
Das passiert im Gehirn
Bleiben wir bei den Vokabeln …
Sobald Sie ein neues Wort zum ersten Mal lesen, werden die Nervenzellen im Hippocampus und im Sehzentrum aktiv, lesen Sie die Vokabel laut, reagieren auch die Zellen im Hörzentrum. Wenn Nervenzellen aktiv sind, dann leiten sie Impulse an andere Zellen weiter. Diese Impulse werden elektrisch und chemisch über die sogenannten Neurotransmitter oder Botenstoffe übertragen. Die bekanntesten davon sind Serotonin und Adrenalin.
Aufbau einer Nervenzelle. | Grafik: ALL4SINGLES.DE Quelle: Wikipedia
Funktion: Über die Dendriten gelangen Informationen von anderen Nervenzellen zum Zellkörper. Ist das Signal stark genug, wird diese Zelle auch aktiv und leitet wiederum ein Signal über das Axon zur nachgeschalteten Zelle. Deren Dendriten nehmen das Signal auf und so weiter …
Lesen Sie das Wort einmal laut, erschaffen Sie damit ein bestimmtes Aktivierungsmuster im Hippocampus, in der Seh- und Hörrinde. Bei jeder Wiederholung reagiert dieses Netzwerk aus Nervenzellen – die Verbindung wird mit jeder Wiederholung stärker und Reaktionszeit kürzer.
Die Funktion von Nervenzellen können Sie sich wie Muskelzellen vorstellen. Die Muskelfasern werden auch stärker, je häufiger Sie eine Bewegung ausführen. Unterbrechen Sie das Training, lässt die Kraft nach. Genauso verhält es sich mit einer Fremdsprache: Nutzen Sie sie nicht mehr, erinnern Sie sich nur noch langsam und unvollständig an die Vokabeln.
Netzwerke erleichtern das Erinnern
Würde eine Nervenzelle eine Vokabel speichern und diese Zelle wird beschädigt oder stirbt ab, wäre das Wort vergessen. Durch das Speichern in Form von Netzwerken bleiben Erinnerungen stabiler. Es reicht, wenn ein Bereich, zum Beispiel die Hörrinde aktiv wird, sobald Sie eine bekannte Vokabel hören. Von der Hörrinde aus breitet sich die Aktivierung über das ganze gewachsene Netzwerk aus – und Sie erinnern sich, was das Wort übersetzt bedeutet und wie es geschrieben wird.
Wäre nun tatsächlich die Information im Hörzentrum durch Nervenschädigungen nicht mehr vorhanden oder schwer zugänglich, dann hätten Sie vergessen, wie das Wort ausgesprochen wird. Sie könnten es trotzdem übersetzen und lesen. Das Geniale dabei: Sie haben auch die Grammatik und Ausspracheregeln der englischen Sprache gelernt und können aus diesem Wissen die Aussprache ableiten und neu speichern.
Gefühle fördern die Erinnerung
Besonders emotionale Situationen prägen sich schnell und tiefer ins Gedächtnis ein. Im Gehirn lässt sich das daran erkennen, dass die Region, die für die Gefühle zuständig ist, die Amygdala, sehr eng mit dem Hippocampus, der zentralen Steuereinheit für das Gedächtnis, verbunden ist. Gefühle und die dabei ausgeschütteten Botenstoffe sorgen dafür, dass sich Netzwerke im Gehirn besonders schnell und stark ausbilden.
Das extremste Beispiel ist ein Trauma. Eine Situation, etwa ein Autounfall und ein Bankraub, wird als extrem bedrohlich wahrgenommen und das Gedächtnis prägt sich diese gefährliche Szenerie besonders intensiv ein, um die betroffene Person in Zukunft vor ähnlichen Situationen sofort zu warnen. So kann der Gedanke an eine Bank schon ausreichen, dass der Körper mit extremem Stress reagiert.
Wie verlässlich ist unser Gedächtnis?
Das menschliche Gehirn ist definitiv kein Archiv, in dem alle Erinnerungen 1:1 abgespeichert werden. Stattdessen vergisst es den Namen einer ehemaligen Klassenkameradin oder versorgt uns mit Erinnerungen an einen sonnigen Inselurlaub, von dem die Partnerin sagt, das Wetter wäre sehr durchwachsen gewesen. Wie weit können wir unserem Gedächtnis trauen, wenn es Erlebtes vergisst oder Erinnerungslücken mit falschen Details ergänzt?
Fehlerhaft und trotzdem genial
Die Wissenschaft hat inzwischen verschiedene Funktionsweisen des Gehirns entdeckt, die durchaus an daran zweifeln lassen, ob im Oberstübchen immer alles in Ordnung ist.
Quellenverwechslung oder: Das Gehirn kennt kein Urheberrecht.
Ein solches Phänomen ist die Quellenverwechslung, die den Betroffenen durchaus in Schwierigkeiten bringen kann, nämlich wenn er unabsichtlich eine fremde Idee als die Eigene ausgibt. Ein Beispiel: Sie sind leidenschaftliche Schlagzeugerin und spielen schon länger mit dem Gedanken, ein Solo zu komponieren. Spontan und unerwartet entsteht beim Üben ein fetziger Rhythmus, der Sie begeistert. Wow! Die erste Sequenz! Eifrig notieren Sie das Erstlingswerk und präsentieren es Ihrem Lehrer. Grinsend spielt der Ihnen einen Oldie vor – mit Ihrer Komposition! Den Song kennen Sie aus Ihrer Jugend, können sich allerdings nur noch schwach daran erinnern. In solchen Fällen passiert häufiger, dass Sie nicht mehr zwischen eigenen und fremden Ideen unterscheiden können.
Suggestion: aktuelle Informationen beeinflussen die Erinnerung
Diese Tatsache haben die amerikanischen Psychologen Prof. Elizabeth Loftus und John Palmer bewiesen, indem sie mehreren Gruppen von Studierenden einen Film zeigten, in dem sich ein Autounfall ereignete. Anschließend mussten die Teilnehmer einen Fragebogen ausfüllen, der Informationen zum Unfallhergang enthielt. Eine Gruppe bekam die Formulierung „… als sich die Fahrzeuge berührten…“ zu lesen, bei einer anderen stand im Bereicht „… die Fahrzeuge krachten ineinander… „ . Die Forscher zeigten, dass die Erinnerungen an den Unfall von der Fragestellung beeinflusst wurden. So schätzten Studierende die Geschwindigkeit der Autos höher ein, wenn die Frage das Wort krachen enthielt. Außerdem erinnerten sich Teilnehmer dieser Gruppe auch an nicht vorhandene Glasscherben, die auf der Straße lagen, nach dem Motto: Wenn es kracht, muss es auch Scherben geben.
Noch ein Fall von Suggestion? Erinnerungen, die es nicht geben kann …
Erinnern Sie sich an Ihren ersten Geburtstag? Rein Fakten-basiert müssten sie höchstwahrscheinlich verneinen, denn in diesem Alter sind die Hirnareale, die für das Langzeitgedächtnis wichtig sind, noch nicht richtig ausgereift. Trotzdem gibt es Menschen, die behaupten, sie würden durch Hypnose das Trauma der Geburt auflösen. Es kann also durchaus sein, dass Teilnehmer ein Geburtstrauma erinnern und auflösen wollen, das sie so nicht erlebt haben.
Neue Informationen oder veränderte Werte beeinflussen die Erinnerung
Armin, 48, befindet sich in einer Sinnkrise. Er ist von seiner beruflichen Laufbahn enttäuscht, schließlich wollte er „was werden“, „Erfolg haben“. Als Angestellter einer kleinen Elektro-Firma kümmert er sich um den Einkauf. Er erzählt, er habe die falsche Entscheidung getroffen und hätte sich für ein Studium entscheiden sollen. Aber der Vertrauenslehrer im Gymnasium hatte ihm von einem Studium abgeraten. Armin sagt, er habe diesen Lehrer nie gemocht und hätte dementsprechend nicht auf seinen Rat hören sollen.
Nach einem Gespräch mit seinem ehemaligen Arbeitskollegen setzt bei Armin ein Denkprozess ein. Der Kollege fragt ihn, was genau „Erfolg im Beruf haben“ für ihn genau bedeute und welche Abstriche er dafür in anderen Lebensbereichen hätte in Kauf nehmen müssen, zum Beispiel die viele Zeit mit seinen Kindern. Armin kommt zu dem Schluss, dass er mit seiner Entscheidung zufrieden sein kann und wenig später tauscht er folgende Erinnerung auf dem Klassentreffen aus: „Ich weiß noch, wie mir der Vertrauenslehrer, der Schneider, zu einer Ausbildung geraten hat. Er hatte recht – der war wirklich nett und kompetent.“
Falsche Erinnerungen: Wozu?
Die Beispiele könnten das Vertrauen in die grauen Zellen erschüttern. Doch diese Art Fehlleistungen haben gute Gründe: Stellen Sie sich vor, Sie sind rund 16 Stunden jeden Tag wach. Das sind etwa 57.600 Sekunden. In jeder einzelnen Sekunde ist das Gehirn mit einer Flut von Reizen konfrontiert: der Fliederduft am Wegesrand, der Geschmack von Kaffee auf der Zunge, die eigene Stimmung, die Gefühle des Partners am Frühstückstisch, der hektische Verkehr auf dem Weg zur Arbeit, die Informationen im Newsticker und die Agenda im Meeting.
Eigentlich ein Wunder, dass wir uns täglich in diesem Umfeld bewegen, ohne von den vielen Reizen überrollt zu werden. Wäre unser Gehirn ein Archivar, der alles speichert, dann wären wir tatsächlich überfordert. Deshalb hat die Evolution es so eingerichtet, dass das Gehirn einströmende Reize filtert und nur für uns wichtige Informationen speichert. Gleichzeitig sorgt das Vergessen dafür, dass wir im Laufe des Lebens nicht zu viele unnützen Informationen ansammeln.
Das Gehirn ist darauf ausgerichtet, für unser Überleben wichtiges Wissen zu erkennen, zu speichern und mit alten Erfahrungen so zu verknüpfen, dass wir bestmöglich mit unserer Umwelt zurechtkommen. Oder anders formuliert: Der Algorithmus des Gehirns ist darauf programmiert, alle relevanten Informationen zu sammeln und aufzubereiten, dass wir immer auf dem aktuellsten Stand sind, um bestmöglich im Leben zurechtzukommen.
Genau aus diesem Grund erinnern sich die Freundinnen am Anfang dieses Beitrags auf unterschiedliche Weise an die Mitschülerin. Es ist für keine von beiden Alltags-relevant, welche Haarfarbe Petra hatte. Das Gehirn hat diese Erinnerung aussortiert.
Falsche Erinnerungen entlarven: manchmal gelingt das
Die Professorin Aileen Oerbst von der Fernuniversität Hagen forscht gemeinsam mit ihrem Team an der Frage, wie es gelingt, falsche Erinnerungen von wahren Begebenheiten zu unterscheiden. Kein leichtes Unterfangen!
Vor kurzem gelang es den Wissenschaftlern in einer Studie, zwei Faktoren zu identifizieren, die zumindest einen kleinen Schritt in die gewünschte Richtung weisen. Dazu baten sie die Eltern der Studienteilnehmer, Begebenheiten aus deren Kindheit aufzuschreiben und falsche Erlebnisse darunter zu mischen.
Ohne weitere Hinweise durch die Forscher erinnerten sich mehr als die Hälfte der Teilnehmer an die erfundenen Episoden.
Dann veränderten die Wissenschaftler ihr Vorgehen. Sie wiesen die Teilnehmer darauf hin, dass die Texte der Eltern auch erfundene Situationen enthielten und unternahmen folgende Schritte:
- Sie regten die Probanden dazu an, genau zu überlegen, woher die erinnerte Information stammt.
- Die Versuchspersonen wurden über das Phänomen der Scheinerinnerung aufgeklärt.
Die Frage nach der Informationsquelle führte dazu, dass etwa die Hälfte der Teilnehmer die falschen Informationen erkannten. Nach dem Hinweis auf mögliche Scheinerinnerungen gelang dies weiteren 25 Prozent.
Das restliche Viertel war nicht in der Lage, wahre von erfundenen Kindheitserinnerungen zu unterscheiden.
Erinnern: kreativer Prozess statt Fakten?
Die eben beschriebenen Fragen können falsche Erinnerungen teilweise entlarven. Grundsätzlich sollten wir jedoch laut Prof. Elisabeth Loftus von der University of California in Irvine unsere Erinnerungen nicht zu ernst nehmen.
Ihre Forschung hat gezeigt: Mit jedem Abruf einer Erinnerung verändern wir diese. Die Forscherin vergleicht eine Erinnerung mit einer Datei, die sich bei jedem Öffnen verändert und von der nur die jeweils aktuellste Version erhalten bleibt.
Nehmen wir Ihre letzte Familienfeier als Beispiel: Sie selbst verfügen über Erinnerungen. Wie Sie das Fest erlebt haben – und es anschließend erinnern – liegt unter anderem an Ihrer Stimmung an diesem Tag. War Ihre Stimmung durch einen beruflichen Misserfolg gedrückt, haben Sie das Fest anders in Erinnerung als Ihre Schwester, die gerade frisch verliebt war.
Das Bild, also die Erinnerung, an das Fest verändert sich stetig.
Weitere Informationen:
- Aileen Oeberst, Fernuni Hagen über das Erkennen falscher Erinnerungen: Oeberst, Aileen et al. (2021): Rich false memories of autobiographical events can be reversed. In: PNAS Vol. 118 (13). abgerufen am 23.05.2022 unter
https://www.pnas.org/.../pnas.2026447118 - Shaw, Julia (2018): Das trügerische Gedächtnis: Wie unser Gehirn Erinnerungen fälscht. Heyne Verlag.
- Korte, Martin (2019): Wir sind Gedächtnis: Wie unsere Erinnerungen bestimmen, wer wir sind. Pantheon Verlag.
- Hirnareale: Landkarte des Gehirns:
https://www.medizin-kompakt.de/brodmann-areal abgerufen am 23.05.2022 - Vortrag von Prof. Elisabeth Loftus über falsche Erinnerungen: https://www.ted.com/talks/... abgerufen am 25.05.2022
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Autorin: Susanne Schmieder
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